Rezension: Ein Märchenkönig und sein Mythos

D I E G U G L M Ä N N E R S M . K Ö N I G L U D W I G I I .

M e d i a v i t a i n m o r t e s u m u s !

E I N M Ä R C H E N K Ö N I G U N D S E I N M Y T H O S


Von Sarah-Yvette Rohrer

Beim Studium des vorliegenden Buches von Sarah-Yvette Rohrer „ Ein Märchenkönig und sein Mythos“ fiel mir spontan ein Vorkommnis ein, das ich vor einigen Jahren selbst erlebt hatte. Bei einem Gespräch über die Guglmänner König Ludwig II. sagte mir jemand, er hätte ja die Guglmänner bei der Übertragung der Beisetzungsfeierlichkeiten im Fernsehen – sogar in Farbe – gesehen. Auf meine Einlassung, daß dies nicht sein könnte, weil im Jahre 1886 weder die Kinematographie noch der Farbfilm geschweige das Fernsehen erfunden waren, folgte tiefes Nachdenken. Der gute Mann mochte das nicht glauben, hatte er es doch mit eigenen Augen gesehen! Erst nachdem ich ihm klargemacht hatte, daß er ganz sicher den Film von Helmut Käutner aus dem Jahr 1955 „Ludwig II. – Glanz und Elend eines Königs“ – irgendwann in einer Fernsehausstrahlung gesehen habe, dämmerte ihm langsam die Wahrheit. Der Film beginnt nämlich mit dem Leichenzug des Königs; die Guglmänner schreiten mit ihren Fackeln dem Katafalk voran.

An dieser kleinen Geschichte wird deutlich, wie stark unser aller Denken gerade in Bezug auf historische Vorkommnisse von Filmen geprägt, um nicht zu sagen manipuliert ist. In einer Art Gehirnwäsche wurde unser Wissen über historische Ereignisse ins kollektive Gedächtnis ikonenhaft eingeschrieben wo es sich als Mythos dauerhaft manifestiert.

Jesus Christus wandelte in Sandalen weißgewandet durch Palästina, die Galeerensklaven waren angekettet und mußten mit dem Schiff untergehen, die Pyramiden wurden von Sklaven, die mit unnachsichtiger Brutalität von den Aufsehern ausgepeitscht wurden, errichtet. Das sind nur 3 Beispiele wie wir uns – dank der Filmindustrie – bis heute die Antike vorstellen.
Aber war es wirklich so? Das alles sind Mythen, die Wahrheit sieht meist anders aus. Die Pyramidenarbeiter leisteten diesen Dienst freiwillig, gegen Bezahlung und mit Begeisterung für ihren Gottkönig, genauso wie die Bauarbeiter des Mittelalters die Kathedralen zur Ehre Gottes schufen – ganz ohne Peitsche. Warum hätte man Galeerensklaven eigentlich anketten sollen – ins Meer konnte ja keiner entfliehen. Und wie Jesus Christus wirklich aussah und gewandet war, wissen wir noch weniger.

Auch König Ludwig lebt in einem Mythos fort und es der Autorin – die dieses Werk zunächst als Bachelorarbeit im Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg verfaßt hat (Bewertung sehr gut) – gelungen, in einer genialen Analyse wissenschaftlich fundiert die reale Person Ludwig II. von der mythischen Person zu unterscheiden. Dieses sehr lesenswerte Buch beschäftigt sich mit den beiden kinematographischen Hauptwerken über Ludwig II., nämlich Helmut Käutners Werk von 1955 und das Werk Luchino Viscontis von 1972.
Sie seziert die einzelnen Filme in ihre Sequenzen und macht sie dadurch für den Leser – ohne von der Vorwärtsbewegung des Films überwältigt zu werden – analytisch zugänglich.

Sehr bemerkenswert ist auch das Forschungsergebnis der Autorin, daß jede einigermaßen opulente Verfilmung des Lebens König Ludwig II. nicht ohne die Originalschauplätze – ergo die Königschlösser – auskommt. Um allerdings an diesen Orten drehen zu dürfen, bedarf es aber der Erlaubnis des Hauses Wittelsbach. Dieses behält sich vor, in das Drehbuch eingreifen zu dürfen. (Käutner, Berlin, 1992, S. 150-152) Und genau deshalb gibt es – mit einer einzigen Ausnahme – keinen Film, in dem nicht die inzwischen von zahlreichen Ludwigforschern als Lügenversion enttarnte Todesversion des Hauses Wittelsbach zum Einsatz kommt. (König flieht in selbstmörderischer Absicht in den See, Gudden versucht ihn daran zu hindern, der König tötet Gudden und tötet sich anschließend selbst durch Ertrinken.)*

Alle anderen Versionen wurden vom Haus Wittelsbach erfolgreich verhindert. Und so wird leider auch aus einer offensichtlichen Lügengeschichte ein Mythos. Es gibt allerdings einen Film, der die Wahrheit der Todesumstände sehr genau zeigt. Dieser Film ist zwar nicht so opulent ausgestattet wie die Werke Viscontis und Käutners, dafür konnte sich aber auch niemand ins Drehbuch einmischen: es ist der Film „Königsmord“ der Guglmänner. Diesen Film finden Interessierte auf YouTube unter dem Stichwort Königsmord.

Daß die junge Wissenschaftlerin Sarah-Yvette Rohrer ihre Bachelorarbeit für ein breites Publikum als Buch aufgelegt hat, dafür ist Ihr höchster Dank und Anerkennung auszusprechen. Möge die Gnadensonne Seiner Majestät auf ewig über ihrem Haupte leuchten!

Gegeben zu München im Jahr des Heiles zweitausendundneunzehn auf den 10.
August, den Tag des hl. Laurentius, Martyrer zu Rom 258.

 

M e d i a v i t a i n m o r t e s u m u s !

D I E G U G L M Ä N N E R S M . K Ö N I G L U D W I G I I .

 

*) Wenn der König wirklich selbstmörderische Absicht gehabt hätte, warum schwimmt er dann nicht in den tiefen See hinaus sondern watet im hüfttiefen Wasser am Ufer entlang? Gudden war ein 62-jähriger, kleinwüchsiger Nichtschwimmer der bestimmt nicht versucht hätte, im Wasser mit dem 1,91 großen König zu ringen. Der König hätte Gudden nicht töten müssen um sich von ihm zu trennen. Selbsttötung durch Ertrinken ist für einen ausgezeichneten Schwimmer nahezu unmöglich. Und wie wäre es seriös zu erklären, daß die Taschenuhren des Königs wie Guddens – die beide nicht wasserdicht waren – mit 70 Minuten Zeitunterschied stehengeblieben sind, wo doch beide angeblich miteinander im See gerungen haben?